Sitzung: 22.03.2024 Rat der Gemeinde Spiekeroog
Beschluss: mehrheitlich beschlossen
Abstimmung: Ja: 5, Nein: 2, Enthaltungen: 1
Vorlage: 01/016/2024
In der Ratssitzung vom 22.03.2024 geänderter
Beschlussvorschlag:
Gem. § 1 Abs. 1 NZwEWG und der §§ 10 und 58 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes (NKomVG) beschließt der Rat der Gemeinde Spiekeroog erstmalig die vorliegende Zweckentfremdungssatzung:
Satzung der Gemeinde Spiekeroog über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungssatzung). Diese ist Bestandteil des Protokolls.
Es wird kurz
eingeführt: Im März 2019 hat der Landesgesetzgeber das Gesetz über das Verbot
der Zweckentfremdung von Wohnraum beschlossen, um den Wohnraum in Gebieten mit
Wohnraummangel zu erhalten. Die Gemeinde Spiekeroog gehört gemäß einer
Verordnung des Landes Niedersachsen zu diesen Gebieten. Die
Zweckentfremdungssatzung ermöglicht der Gemeinde, die Zweckentfremdung von
Wohnraum unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen. Gemäß dem Gesetz wird
Zweckentfremdung definiert; fünf Fallgruppen gelten als Zweckentfremdung, wenn
die gemeindliche Satzung nichts Abweichendes regelt. Die Gemeinde kann
anordnen, dass Wohnraum wiederhergestellt wird, und es besteht eine
Auskunftspflicht für Eigentümer und Hausverwalter. Die Zweckentfremdungssatzung
ist eine wichtige Ergänzung der städtebaurechtlichen Instrumente der Gemeinde.
Spiekeroog ist neben Langeoog die einzige ostfriesische Insel, welche eine
solche Satzung noch nicht beschlossen hat.
Ratsvorsitzende Redelfs weist auf die Gebietskulisse hin, in welcher
Spiekeroog zweifelsfrei zugehörig sei. Sie betont, dass die Satzung nach 5
Jahren ausläuft, somit also eine regelmäßige Notwendigkeitsprüfung vorgenommen
werden müsse. Weiterhin erklärt sie die Haltung des Landes Niedersachsen,
insbesondere mit Blick auf Wohnraumförderung. Das Land würde genau beobachten,
ob die Inselgemeinden auch ihre „Hausaufgaben“ machen, also z.B. die Satzungen
erlassen oder eine Steuerung zwischen Ferienwohnen und Dauerwohnen in den
B-Plänen regeln. Eine solche Satzung führe nicht dazu, dass Denunziantentum
gefördert wird. Es gehe um die richtige, also genehmigte Nutzung. Wenn
sich jemand nicht an bestehendes Recht hält, sei es nicht verwerflich,
dagegen vorzugehen.
Ratsmitglied Baumfalk sieht das alles sehr kritisch. Er hätte sich viele
Gedanken gemacht und sei oft aus dem Dorf angesprochen worden. Diese
Vorgehensweise erinnere ihn an Sozialismus. Es sei schwierig, wenn man Menschen
vorschreiben würde, was sie in ihren Immobilien zu tun haben. Die
Entscheidungsgrundlage solle allein beim Besitzer liegen. Auch, was den
Mietpreis angeht. Er sieht auch Mietwohnungen kritisch. Einige Mieter würde man
gar nicht rausbekommen, sie seien immer vom Gesetz bessergestellt als
Vermieter. Ein Diktat für Wohnraum sei falsch, insulares Wohneigentum würde dadurch
erschwert oder verhindert.
BM Kösters kann dies grundsätzlich nachvollziehen, gibt jedoch zu
bedenken, dass es in Deutschland Baugenehmigungsverfahren gibt. Diese münden in
eine Baugenehmigung, welche vorgibt, wie eine Immobilie zu nutzen sei. Die Bedenken
mit Blick auf Vermietung teilt er nicht, der überwiegende Teil der
Wohnbevölkerung in Deutschland lebt in Mietverhältnissen. Regelungen mit Blick
auf den Mietpreis sehe er ebenfalls kritisch, die Satzung schreibe diese jedoch
so vor. Fälle auf Norderney haben gezeigt, dass Eigentümer Mietwohnungen für
>45 Euro pro Quadratmeter zur Kaltmiete angeboten haben und dann gegenüber
der Stadt argumentiert haben, keinen Mieter gefunden zu haben.
Soziale Härtefälle seien geschützt, hier bestehe keine Gefahr.
Ratsmitglied Baumfalk kann Mietpreise von 45 Euro nachvollziehen, denn
eine Ferienwohnung würde ja auch entsprechend hohe Erlöse bringen. Ausnahmen
mit Blick auf soziale Härte sieht er kritisch, dies würde die Gefahr von
Präzedenzfällen mit sich bringen.
Ratsfrau Goedecke gibt an, auch „Bauchschmerzen“ mit der Einführung der
Satzungen zu haben. Die aktuelle Diskussion um die Wohnraumsuche der Lehrerin
habe sie jedoch bestärkt. Der Rat sei gemeinsam angetreten, um die
Wohnraumprobleme der Insel zu lösen. Somit sei die Vorgehensweise
alternativlos. Die Umsetzung werde mit Augenmaß erfolgen, es werde nicht „mit
Schrot geschossen“.
Ratsherr Bellstedt sagt, dass Spiekeroog die Satzung nicht erfunden
habe, und seiner Meinung nach auch nicht wolle. Er möchte die alte Struktur der
Vermietung belassen, sie sei über Jahrzehnte gewachsen und praktiziert. Hier
ranzugehen, würde zu einer Verunsicherung von Gewerbetreibenden und Gästen
führen. Er bezweifle auch, dass es zu einer nachhaltigen Entlastung der
Wohnraumsituation führe. Die Verbände würden auf die Barrikaden gehen. Er
repräsentiere einen Großteil der Dorfbevölkerung, fast alle hätten ihn
angesprochen und das Veto der Dorfbevölkerung gebe er hiermit weiter. Man müsse
das Dorf weiterbringen und nicht die Vermietungsstruktur ins Wanken bringen. Er
hinterfragt, wie weit eine Kommune im Eingriff in Privateigentum eigentlich
gehen dürfe.
Ratsherr Baumfalk bestätigt dies. Jeder auf der Insel müsse sich darum
kümmern, seine Leute unterzubringen. Er stehe vor seinen Wählern. Niemand wolle
die Satzung.
Ratsvorsitzende Redelfs gibt an, beide Satzungen zu begrüßen. Die
Einführung der Zweckentfremdungsatzung komme reichlich spät, andere wären hier
viel schneller gewesen. Sie habe in den letzten Jahren viele Bauanträge gesehen,
Dauerwohnraum ist immer mehr verschwunden, Ferienwohnungen sind entstanden. Und
auch wenn in einer Baugenehmigung eindeutig Dauerwohnraum vorgeschrieben sei,
wäre augenscheinlich nicht immer Dauerwohnraum entstanden. Es gäbe immer wieder
den Vorwurf, warum wir als Insel dagegen nichts unternehmen würden. Nun könne
falsches Handeln noch besser geahndet werden. Wenn die Insel hier nicht aktiv
werde, komme sie nie auf einen grünen Zweig in Sachen Wohnraum.
Ratsfrau Goedecke bestätigt die Ratsherren JoBellstedt und Baumfalk,
auch sie wäre in den letzten Tagen von vielen Bürgern angesprochen worden.
Allerdings mit Lob, dass endlich etwas passieren würde. Sie wünsche sich, dass
man Schritt für Schritt dahin komme, dass die Wohnungen, die auch auf dem Papier
bestehen, auch von der örtlichen Bevölkerung genutzt werden können.
Ratsfrau JulBellstedt schließt sich Ratsfrau Goedecke an. Sie habe auch
leichte Bauchschmerzen, regulierend einzugreifen, sieht aber keine Alternative.
Sie verweist auf die Suche nach Lehrerwohnraum. Hier kam aus dem ganzen Dorf
nichts. Sie sei angetreten, um sich für die Zukunft der Insel einzusetzen. Und
dafür sei Wohnraum eine wichtige Grundlage.
Für Ratsherrn Schreiber klinge Zweckentfremdung nach Enteignung. Warum
reiche nicht die Erhaltungssatzung? Es werde zu scharf formuliert, er habe
Bauchschmerzen und sei nicht dafür.
BM Kösters erläutert erneut das Prinzip der Zweckentfremdungssatzung.
Sie würde nicht dazu führen, irgendjemandem etwas wegzunehmen, was ihm
rechtlich zusteht. Sie bestimmt auch nicht, anders als der B-Plan oder die
Erhaltungssatzung, über bestimmte Nutzungsfestlegungen. Sie ist ein Werkzeug,
um schneller gegen illegale Nutzung vorgehen zu können und biete gleichzeitig
die Option, unter gewissen Umständen eine illegale Nutzung zu legalisieren.
RM JoBellstedt gibt zu, dass das Beispiel der Lehrerin ein Trauerspiel
gewesen sei. Es gäbe aber auch positive Beispiele. Der neue B-Plan gebe
weiterhin vieles vor. Zusätzliche Regelungen wolle er nicht. Man sei auf Spiekeroog
und nicht in der DDR. Unkontrollierten Zugriff auf Privateigentum lehne er ab.
RM Baumfalk unterstützt erneut, er sei gegen Enteignung.
Ratsmitglied Breuer führt aus, dass es keine leichte Entscheidung sei.
Er verstehe auch das Maß an Verunsicherung, welches jedoch durch Spekulationen
aus dem Inseldorf getrieben sei. Er mahnt an, dass die Wohnraumsorgen sehr groß
seien und wir sie lösen müssen. Das sei im Interesse der Insel. Wenn das Land
nun dazu ein Werkzeug anbietet, sollte man es nutzen. Es sei wichtig, den
Aufbau eines Wohnungsmarktes zu wagen. Nur Arbeitgebergebundener Wohnraum sei
nicht zukunftsweisend. Weiterhin gibt er zu bedenken, dass das Land sehr genau
auf die Inseln blicke und voraussetzt, dass die Inseln ihre Handlungsspielräume
ausnutzen.
Hille Schreiber ist der Meinung, dass B-Plan und Erhaltungssatzung
grundsätzlich reichen würden. Es sei aber auch Fakt, dass es Fälle gibt, die
nach dem B-Plan genehmigt sind und die Inhaber etwas anderes machen als das,
was beantragt wurde. Es ginge nicht, dass Inhaber machen, was sie wollen.
Ratsvorsitzende Redelfs bekräftigt dies. Die Satzung schreibe nichts
vor, sie stelle nur sicher das man Häuser der richtigen, genehmigten Nutzung
wieder hinzuführt.
RM Baumfalk mahnt an, dass mit Radikalität noch nie etwas Gutes
geschaffen wurde.
BM Kösters zeigt sich verwundert, dass hier von Radikalität gesprochen
wird. Die Einführung einer Satzung sei nach seinem Verständnis nicht mit
Radikalität in Verbindung zu bringen. Er erkenne auch keine ideologische
Überzeugung, die von der etablierten Norm abweiche oder eine extremistische
Haltung annehme. Eine legale Immobiliennutzung sei im Sinne aller, insbesondere
derer, die sich an die geltenden Gesetze halten. Eine Verbesserung in der
Wohnraumversorgung würde viele Maßnahmen bedürfen, eine davon sei eine
Einhaltung der gesetzlichen Regeln. Er verstehe auch nicht, dass hier die
Gewerbetreibenden „auf die Barrikaden“ gehen. Wohnraumschaffung sei ein
wesentliches Mittel zur Entlastung des Inselgewerbes, da die Last der
Wohnraumgestellung aktuell fast zu 100% auf den Schultern der Gewerbetreibenden
liege, was insbesondere bei Neuansiedlungen beachtliche Investitionskosten mit
sich bringe. Weiterhin führt er aus, dass die Zweckentfremdungssatzung ein Vehikel
sei, um legale Nutzungen schneller durchsetzen zu können. Die
Verfahrenslaufzeiten seien sonst sehr langwierig. An der Einschätzung, ob etwas
legal oder nicht legal sei oder der grundsätzlichen Vorgehensweise, etwas nicht
legales in etwas legales zu überführen, würde eine Zweckentfremdungssatzung
nichts ändern oder verbessern.
RM Schreiber und RV Redelfs bestätigen dies, mit Satzung ginge es
schneller.
RM Baumfalk bestätigt, dass Wohnraumschaffung wichtig sei. Aber nicht
auf einem Weg, wo man sich streiten würde und ungerecht behandelt würde.
RM Goedecke widerspricht deutlich, sie sieht hier keine Ungerechtigkeit,
ganz im Gegenteil. Außerdem sei im Zuge
der Durchsetzung ein ausreichender Entscheidungsspielraum vorhanden.
RM Baumfalk kritisiert, wenn Ersatz geschaffen würde, könne man befreit
werden, das würde doch niemand machen.
Die Ratsvorsitzende bittet darum, zur Abstimmung überzugehen da die Argumente dafür und dagegen ausgetauscht worden seien.